Heute feiert Bertolt Brecht seinen 116. Geburstag. Ein schöner Anlass für eine dafür vorgenommene Vorratsspeicherung. Mitte Januar waren wir im Paul Löbe Haus des Bundestags für ein Interview. Danach war ich einem Garderobier ein Versprechen schuldig: ein Lied für ihn zu singen. Jörg Wagner (Mister Medienmagazin des rbb) nahm es auf.
Das Lied liebe ich aus zwei Gründen. Udo Samel sang es in einer Produktion der Berliner Festwochen 1987, die ich als freier Dramaturg begleitete: LOST IN THE STARS AND STRIPES. Eine Erinnerung an deutsch-jüdische Emigranten in den USA. Dafür hatte ich die Archive und Nachlässe durchstöbert, einen Bogen gespannt, der vom Januar 1933 bis zum August 1945 reichte. Das Programmheft endete mit dem folgenden Tagebucheintrag:
Inzwischen ist mir langsam klar geworden, was es mit diesem ausgebrochenen Wiedschideh für eine umfassendere Bedeutung hat, anfangs wusste ich das gar nicht, und antwortete auf die jauchzenden Fragen des mich bewirtenden farmfolks: „Did you hear that Japan has surrendered isn´t it wonderful? mit einem höflich zurückhaltenden: „It sure is and how do you say stagel in English because that´s how green it is laying upon me“. Jetzt dämmert mir also, daß sozusagen Frieden ist, whatever that means. Es ist aber auch zu merkwürdig, dass ein von Deutschland gegen Polen begonnener Krieg plötzlich von Amerika gegen Japan gewonnen wird, und von der einstigen Premierenbesetzung ist nur noch England da. Mein persönlicher Bedarf an historischen Ereignissen ist nun völlig gedeckt.
Die Revue spielten Sona MacDonald, Udo Samel und Alan Marks, der mehrere Gedichte und Lieder vertont hatte. Ein weiteres Lied, wenn ich mich richtig erinnere, war es von Karl Farkas, singe ich auch manchmal vor mich hin:
"Mein Schwiegervater lebt in China
im gelben Himmelreich der Mings,
assimiliert sich in die Tiefe
und schreibt mir vertikale Briefe
anstatt wie einst von rechts nach links".
Tonmeister der Produktion – und für die von der Pressestiftung des Tagesspiegels finanzierte Doppel-CD – war mein Radio 100-Kollege Johannes Schmölling, einer der beiden Audionauten, neben Hans-Peter Kuhn. Johannes hatte für meine Radio 100 Literatursendung Nachtflug den Jingle komponiert.
Der zweite Grund ist, dass ich das Lied auch einmal live bei Radio 100 gesungen habe – als meine Antwort auf einen Redaktionskonflikt. Das war mein "ich liebe euch doch alle"-Moment, weil ich Dissens als Ausdruck meiner Freiheit liebe. Das haben auch damals nur wenige verstanden.
Ein Twitter-Freund bezeichnete die Aufnahme als "monastisch". Das ist wegen des Hoodies nicht verwunderlich (übrigens eins aus Kathrin Passigs Zufallsshirt-Angebot).
Zur Festwochen-Produktion des Stücks schrieb Sibylle Wirsing in der FAZ:
Sona Macdonald, Alan Marks und Udo Samel bringen das Jungsein von heute mit der Erinnerung so sensibel überein, als sei ihnen das Wissen in die Wiege gelegt worden, wie weh der Heimatverlust tut. Die Zungen sind deutsch und amerikanisch. Das Zungenbrechen ist inbegriffen. Und das Herzzerbrechen wird nicht vom Tisch gewischt.
Udo Samel sang das Lied über den kleinen Radioapparat wie ein fest verwurzelter Schweijk, robust, mit fester tiefer Stimme, die List darüber fast vergessen machend – so wie er ist.