Untrügliches Zeichen für einen epochalen Wandel. Wenn über Nacht hohe und höchste Werte auf dem Misthaufen landen. Wenn die da oben (verzeiht das altväterliche Bild) sich plötzlich selbst in der Situation von denen da unten wieder finden. Wenn der Protest gegen einen nicht sonderlich überraschenden Sachverhalt plötzlich nicht mehr als erledigt betrachtet werden kann, sondern aus dem Munde der leitendsten Angestellten der Republik vorgetragen wird.
Ihr Gesprächspartner, der amerikanische Präsident, hat das zu den Akten genommen. Er wartet nun auf das Défilée der zur Demissionierung antretenden Spitzenbeamten. Wer von Euch sich bisher nicht in der Welt der internationalen Diplomatie auskennt, möge kurz die Luft anhalten: Selbst der treueste aller treuen US-Verbündeten, die Regierung Pakistans, erklärt sich nicht mehr damit einverstanden, dass Staatsbürger oder andere sich auf pakistanischem Boden zu Recht aufhaltende Personen via Satellit von Drohnen abgeknallt werden wie im Herbst die Hasen bei uns auf dem Stoppelfeld.
Vor Staatsbesuchen gibt es ein von beiden Seiten zuvor ausgehandeltes Cahier (verzeiht das französische Wort: ein Heft, tatsächlich eher ein brikettdickes Buch). Es enthält minutiös den gesamten Ablauf des Staatsbesuchs. Wer wem wann welche Hand schüttelt (oder auch nicht), wer wann zu welchem Gang das Banketts welches Wort ergreift (oder wieder los lässt). Und dann gibt es eben die Ausnahmen, die kein Cahier der Welt vorhersehen kann. Wenn etwas aus dem Ruder geht. Wenn einem Gastgeber die Hutschnur platzt (oder die Galle). Wenn ein US-Präsident aus viralen Gründen sein Haupt plötzlich in den Suppenteller taucht. Oder wenn eben der pakistanische Präsident dem amerikanischen Präsidenten mitteilt: Jetzt ist Schluss mit der Hasenjagd auf Menschen.
Mögen die ballersüchtigen Amerikaner doch erst einmal die eigenen Sicherheitsprobleme lösen, ehe sie anderen Ländern zusätzliche aufhalsen.
Und schließlich kommen dann auch noch im tiefen Norden von Mütterchen Russland die angeklagten Greenpeaceniks in den Genuss eines minderen Anklagevorwurfs. Jetzt stehen sie nicht mehr vor Gericht wegen Piraterie, sondern wegen Hooliganismus. Die ihnen drohende Maximalstrafe sinkt damit von fünfzehn auf sieben Jahre hinter russischen Gittern.
Umweltschutz und dazu gehörendes politisches Engagement wird nun also zum Hooliganismus erklärt. (Ihr kennt natürlich Clockwork Orange, schaut Euch noch mal an, wie das in der Verfilmung Stanley Kubricks aussah, oder besser noch: lest Anthony Burgess´Roman. Die Dystopie aus den 60ern können wir heute als Gegenwartsroman lesen.) Der Hooliganismus ist ein strafrechtlicher Vorwurf, der zum Staatsfeind bzw. zum rechtlosen Krawallinski ernennt, wer sich nicht mehr dem herrschenden (Un)Recht so ohne weiteres unterwirft. Der Gesetzgeber solcher Gesetze will durch das Strafrecht zusammen halten, was tatsächlich auseinanderdriftet. Normen, Gewohnheiten, Recht und Unrecht, plötzlich verschieben sich alle Koordinaten und nur noch das gusseiserne russische Strafrecht scheint in der Lage, ein letztes Quäntchen Zusammenhalt herbeizuzwingen.
Völlig albern.
Zumal wenn man bedenkt, was für ein Hooligan derzeit im Kreml regiert. Also nehmen wir das nicht ganz so genau zum Nennwert wie der Ankläger in Murmansk, sondern schauen, ohne dafür Eintritt gezahlt zu haben, noch mal hin, was sich da gerade vor unseren Augen für ein Schauspiel darbietet. Andere schrieben gestern oder vorgestern oder vor hundert Jahren, dass solche Vorgänge, wie sie die NSA gerade in Serie liefert, vor nicht sehr vielen Jahren noch zu Kriegserklärungen geführt hätten. Und dann gibts es auch noch den einen oder anderen Dämel, der sich darüber brüstet, durch die abgehorchten Telefone die eigenen Verhandlungspositionen besser vorbereitet zu haben.
Wir befinden uns in einem globalen Krieg und leisten denjenigen brüderliche Amtshilfe, die den Krieg gegen uns führen.
Die eine Konsequenz, überhaupt keine Verhandlungen mehr zu führen, ist in einer so interdependenten Welt wie der unseren leider so gut wie undenkbar. Eine andere, dem Vorbild Ronald Pofallas folgend, etwas für beendet zu erklären, was gerade erst so richtig angefangen hat, scheint ebenfalls abwegig. Was möglich ist, wird gemacht. Easy as fuck.
Daran wächst vielleicht sogar der Erfindungsreichtum. Mein Vorschlag zur Güte ist, dass alle von der NSA abgehorchten Daten durch die Vereinten Nationen zum Weltkulturerbe erklärt werden. Herr Gauck, als erster Gauck einer Gauckbehörde, übernimmt mit Mandat des Weltunsicherheitsrats die Schirmherrschaft der UN-Behörde, die die Daten von der NSA übernimmt und zur Auswertung zugänglich macht.
Keith Alexander sagte kürzlich, um eine Nadel zu finden, brauche man einen Heuhaufen. Wenn man sich die Rhetorik der Bundeskanzlerin anschaut, dürfte sie der NSA viel Heu geliefert haben. Es sei denn, sie besäße in der fernmündlichen und Kurznachrichtenkommunikation jene Präzision, die wir in ihrem öffentlichen Reden chronisch vermissen.
Für den Datenbestand der abgehorchten Kurznachrichten und Telefongespräche der Bundeskanzlerin brauchen wir ein eigenes Archivrecht, das den Zugang zu diesen Daten ab sofort freiräumt. Damit wir wenigstens einmal die klitzekleine Chance bekämen zu verstehen, wie Frau Merkel tatsächlich kommuniziert.